Auf dem langen Weg zum Traumberuf

Veröffentlicht von am 16.08.2017 (Keine Kommentare)
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Als Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik prüft Kassem auch große Anlagen.

In der Lehrwerkstatt hantiert Kassem mit Kabeln, zieht Drähte und schraubt sie fest. Zwischendurch wirft er einen prüfenden Blick auf die Anzeige des Geräts neben ihm. So weit, so gewöhnlich für einen auszubildenden Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik, der gerade sein erstes Lehrjahr hinter sich hat.

Kassem ist ein Azubi wie alle anderen Stadtwerke-Azubis. Und auch nicht, denn Kassem ist Ende 2014 vor dem Krieg in seiner Heimat Syrien geflohen und lebt seit 2015 in Münster. Er ist einer von zwei geflüchteten Menschen, die im Sommer 2016 eine Ausbildung bei uns angefangen haben.

Elektronik-Ausbildung in Syrien

„Die Ausbildung zum Elektroniker in Syrien unterscheidet sich sehr von der in Deutschland“; erzählt der 27-Jährige. „In Syrien besucht man aber zwei Jahre eine Berufsschule. Dort lernt man die Theorie und die Praxis. Im Betrieb arbeitet man nicht.“ Mit dem Abschluss in der Tasche kann man schließlich in dem Beruf arbeiten.

Auch die Arbeit eines Elektronikers unterscheidet sich: Syrische Elektroniker verdienen ihr Geld hauptsächlich mit Reparaturarbeiten – Fernseher und andere Elektrogeräte, die hierzulande eher neu angeschafft werden als vom Fachmann gerettet. Als Elektroniker für Gebäude- und Energietechnik beschäftigt ihn heute eher, wie Stromkreise in Gebäuden sicher hergestellt werden. „Es ist schwierig, in Syrien einen Job als Elektroniker zu finden. Ich habe dann als Maler gearbeitet“, sagt Kassem.

Beste Startbedingungen für Fachkräfte

Kassem ist seit 2016 Auszubildender Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik.

Kassem ist seit 2016 Auszubildender Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik.

Elektro-Fachleute am Pinsel? Eine Situation, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt fast undenkbar ist: Energie- und Elektroberufe gehören zu den Top-Ten der offenen Stellen am ersten Arbeitsmarkt. Technisch ausgebildete Fachkräfte sind gefragt, Elektroniker werden vielerorts händeringend gesucht. So hat Kassem, der mit wenig in Deutschland ankam, doch etwas sehr wertvolles im Gepäck: ein grundlegendes Verständnis der Elektronik, großen Ehrgeiz und einen starken Willen.

Den eingeschlagenen Berufsweg verfolgt Kassem auch im fremden Deutschland unbeirrt weiter. Am Anfang steht jedoch die Sprache. Er besucht Sprachkurse, lernt Deutsch und wird dabei von der Diakonie unterstützt. Diese stellt auch den Kontakt zur Handwerkskammer her, die ihn wiederum als Ausbildungskandidat bei den Stadtwerken vorschlägt. Das Timing passt: Ende 2015 hatten die Stadtwerke beschlossen, bis 2018 jährlich zwei zusätzliche Ausbildungsplätze für Zufluchtsuchende zu schaffen. Nach drei Wochen Schnupperpraktikum ist klar: Kassem fängt im August an.

Sein Ausbildungsleiter Hermann-Josef Breuing hat schon zig Elektroniker-Azubis auf dem Weg zum Gesellen begleitet. Im vorbereitenden Praktikum erkannte er schnell, dass Kassem nicht nur die Grundlagen der Elektronik beherrschte. „Wir haben gesehen, dass er Lust auf die Arbeit hat und ehrgeizig ist“, erinnert sich Breuing. Beste Voraussetzungen also für einen angehenden Azubi.

Straffes Ausbildungsprogramm

Werkstatt und Baustellen, Schulungen, überbetriebliche Fortbildungen und Blockunterricht, dazu wochenweise Rotation in andere Abteilungen: Wie alle technischen Stadtwerke-Auszubildenden absolviert Kassem ein intensives Programm, das praktisches Tun und theoretischen Lernstoff vereint. Dieses duale Ausbildungssystem gefällt ihm gut. „So lernt man besser“, sagt er. Doch die Herausforderung ist groß – die manchmal noch fremde Sprache, die vielen Fachbegriffe … „Der erste Blockunterricht in der Berufsschule war sehr schwer. Ich habe nicht viel verstanden“, sagt Kassem.

Im Lager der Lehrwerkstatt sucht Kassem die richtigen Schalter heraus.

Seine Kollegen unterstützen ihn. Jörg, ein älterer Azubi, gibt ihm in der ersten Zeit freitagnachmittags Deutsch-Nachhilfe. Auch heute geht Kassem nach der Arbeit noch einmal die Woche zur Nachhilfe – dort paukt er deutsche Grammatik und Fachbegriffe, die er als Elektroniker braucht. „Ich kann jeden Kollegen fragen und sie erklären mir alles“, erzählt er.

Auch neben der Arbeit unterstützen Breuing und die Azubi-Kollegen Kassem, wenn er allein nicht weiterkommt. Als sich bei der Wohnungssuche nichts tut, half der Betriebsrat weiter. „Kassem ist sehr bescheiden und würde nicht selbst fragen“, sagt Breuing. Doch das fast väterliche Interesse für all seine Jungs gehört für den Ausbildungsleiter ganz selbstverständlich dazu. Ehrensache, dass er zum Hörer greift, als Kassem eine Küche suchte. Gemeinsam haben Hermann-Josef Breuing und Kassem schon das nächste Etappenziel ins Auge gefasst: den Führerschein.

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